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Sport

Veitscher Alpinmarathon 2001

Ein Erlebnisbericht

Autor: unbekannt

"Warum tu ich mir das bloß an?" Diese Frage stellte ich mir in der Steilheit des Teufelsteiges. Die Muskeln brannten, ich keuchte wie ein Postroß, die ersten Anzeichen von Krämpfen in den Wadeln, und noch nicht einmal die Hälfte des Weges war zurückgelegt.

KarlDas Positive nach dem Aufstehen um 6 Uhr war der Blick aus dem Fenster. Im Gegensatz zum Vorjahr. wo Regen und Nebel die Sicht versperrten, zeigte sich Veitsch heuer von seiner schönsten Seite. Aber mir ging es nicht gut. Ich hatte einen Schädel wie nach einem Gelage. Dabei habe ich am Vortag doch nur ein Seidel Bier getrunken. Und so stark ist das Gösser nun auch wieder nicht. Nach dem Frühstuck und einem kurzen, 15-minütigen Einlaufen holte ich mir die Startnummer. Am Sportplatz herrschte bereits reges Leben. Die vielen Camper stellten sich zur Morgentoilette an, einige Spätentschlossene nannten noch nach, und die Organisatoren waren mit den Vorbereitungen beschäftigt. Kurz vor 9 Uhr fand ich mich beim Hallenbad ein. Der Platzsprecher beschrieb die Strecke sehr bildlich und machte den Läufern, welche alle von einer gewissen Unruhe und Nervosität gekennzeichnet waren, Gusto auf die bevorstehende Aufgabe.

An dieser Stelle ein Kompliment an die gesamte Organisation und die vielen freiwilligen Mitarbeiter. Die Veranstaltung war profihaft organisiert.

Punkt neun knallte die Kanone und das Häufchen (ca. 150) Unentwegter setzte sich in Bewegung. Die ersten 800 m "Aufwärmen" waren bald absolviert und der Anstieg zum Hochreiter teilte uns Läufer besser als jedes Ausscheidungsrennen in Kategorien. Ich begann äußerst vorsichtig, da ich mit so einer Strecke weder langenmäßig noch hinsichtlich der Höhenmeter Erfahrung hatte. Doch bald lief ich oben wellig Richtung Pretalsattel, wo man schon von Weitem die Anfeuerungsrufe des Publikums hörte. Kurz vorher nahmen viele Läufer einen Schluck klaren Gebirgswassers aus der am Weg befindlichen Quelle. Alle waren noch bei Kräften, es wurde geplaudert und gelacht, die erste Verpflegstelle war rasch passiert.

Jetzt ging es stetig aber dafür langsam bergauf. Bei km 16 war dann der erste Wechsel bei den Staffelläufern, und ich dachte so bei mir, ob dies nicht auch gereicht hdtte. Aber ich wollte es ja immer wissen. Und das als Kind des flachen Landes. Ob das gut geht? Doch weg mit den zweifelnden Gedanken, ich habe ja noch Kraft, und der Wald gab nun den Blick auf die Hohe Veitsch frei. Die Freude, den schönen Berg im Sonnenlicht erstrahlen zu sehen, mischte sich mit Ehrfurcht und etwas Angst. Die Flanken sind ganz schön steil. Da muß ich hinauf. Wo ist der Teufelssteig? Diese Gedanken beschäftigten mich so sehr, daß ich fast überrascht bei der Station Rotsohl anlangte. Hier stärkte ich mich mit einem Päckchen Power-Gel, Wasser und trockenen Zwetschken. Nun war's mit der Gemütlichkeit aber endgültig vorbei. Von der Labestelle weg stieg es gleich steil bergan, dann wurde es kurz flacher und ich konnte schon die Läufer im Teufelsteig sehen. Nun, geh ich halt rauf. Wird schon nicht so schlimm. Aber es wurde ganz schön schlimm. Der Puls war zwischen 160 und 170, obwohl ich "nur" ging. Dieses verdammte Wegerl nimmt kein Ende. Der Wind zupfte kraftig an meiner Startnummer und ich mußte mein Kapperl festhalten. Wenn mich die vielen Wanderer nicht so positiv motiviert hätten. ich hätte nicht nur die Kappe verloren, sondern auch den Hut drauf gehaut.

Doch plötzlich geschah etwas, womit ich nicht mehr gerechnet hatte - ich war oben! Bei einer kurzen Verschnaufpause ließ ich den Blick schweifen. Das Panorama war herrlich. Im Westen der Hochschwab mit seinen unzähligen Gipfeln, im Süden die Grazer Hausberge und im Osten das Plateau der Veitschalpe mit dem Meran-Haus. Ach ja, das Meran-Haus. Dort muß ich hin. Auf dem kurzen Stück zur Labestelle meldeten sich die ersten Wadenkrämpfe. Das sah nicht gut aus. Es waren erst rund 23 km geschafft. Aber wie heißt es so treffend: Aufgeben tut man einen Brief, oder? Bei der Labestelle wurde ein wenig gescherzt. Einerseits war bei den Läufern eine gewisse Erleichterung erkennbar den Teufelsteig geschafft zu haben, andererseits wußte jeder nur zu genau, daß noch über 30 km zu bewältigen waren. Ich nahm den langen, einsamen Weg über das Hochplateau in Angriff. Die Almwege mit ihren Felsen und Steinen forderten höchste Aufmerksamkeit, ich kam nur langsam voran. Wie hat das der Plechinger nur gemacht. 4:04 - ein Wahnsinn. Ich bin froh. wenn ich das 5-Stunden-Limit bei der Klein-Veitsch-Alm erreiche, Außerdem zwickten schon wieder die Krämpfe. Schon langsam lief ich auf die Nr. 30 auf. Er hatte auch mit Krämpfen zu kämpfen. Gegenseitig machten wir uns Mut und plauderten über dieses und jenes, das heißt übers Laufen. So verging die Zeit etwas schneller. Zwischenzeitlich überholten uns ein paar "flotte" Damen - in des Wortes doppeldeutigem Sinn. Zum Glück waren es Staffelläuferinnen, was der Macho-Seele nicht ganz so weh tat. Eine Wandersfrau gab uns Apfelspalten, kauend und den herrlichen Rundblick genießend näherten wir und der Klein-Veitscher-Alm, der 2. Wechselstelle. 4:09, und ich machte mir noch beim Meran-Haus Sorgen wegen der fünf Stunden. Bei der Labestelle bekam ich von meiner Freundin einen am Morgen gemischten Kohlehydrat-Drink (Maltodextrin) und ein Power-Gel. Herr Ing. Neubauer - ein enfant terrible des Alpinmarathons - gab uns eine Roß-Tinktur zum Einreiben der Haxen. Egal, sehr viel unterschied uns ohnehin nicht mehr von Pferden. Aber irgendewann mußte ich weiter. Jetzt wurde es nicht nur schwer, sondern psychologisch. Denn erstens ging's nicht dauerhaft bergab, sondern, wie die Steirer sagen, "bucklat dahin" und zweitens waren es noch 24 km, der längste Teilabschnitt. Bald bekam ich einen fürchterlichen Oberschenkelkrampf, der mich zu einer Stehpause zwang. Zum Glück lockerte sich die Verkrampfung, ich reihte Kilometer an Kilometer und bewältigte den langen Gegenanstieg bis zur Labestelle am Veitscheck. Die Dame erklärte mir anhand der Gegend, wo wir rauf und rüber gelaufen sind. Ich war nicht nur überrascht, sondern auch ein bisserl stolz. Und als sie sagte, es seien nur mehr 13 km bis ins Ziel, hatte ich fast Glücksgefühle. Die Strecke führte jetzt schon langsam doch mehr bergab als bergauf. Ich war wieder allein unterwegs, denn einige Kilometer vorher baute ich einen Sturz. Dabei unterschied ich mich von einem auf dem Rücken liegenden Mistkäfer nur dahingehend daß dieser keine Krämpfe hat.

Die Herren bei der nächsten Labestelle verkündeten: "Nur noch 8 km!". Nun griff ich zu einem Doping-Mittel ich trank zwei Schluck Bier. Gösser, das gibt Kraft. Nicht umsonst ist der Alpinmarathon in der Steiermark. Ich bog um eine Ecke und sah plötzlich die letzte Versorgungsstelle beim Mirl-Bauer vor mir. Schnell den letzten Rest Power-Gel inhaliert, einen Becher Wasser nachgekippt und ab. Die letzten Kilometer. Jetzt kann nichts mehr passieren. Fast meditativ trabte ich die Forststraße hinunter, da näherte sich jemand forschen Schrittes. Wird wohl ein Staffelläufer sein. Aber es war Hannes Steiner aus Mödling, mit dem ich im Vorjahr durchs Ziel lief. Und der bei km 18 verkündete, es müsse ein Wunder geschehen, damit er heuer durchkommt. "Jetzt geht's Dir aber ganz gut!", schnaufte ich. "Das ist nur mehr der Geist", war die Antwort. Na, den hab ich auch. Nebeneinander liefen wir bis in den Ort, wo er mich dann weiterschickte. Ich kam noch einmal gut ins Laufen und überholte bis ins Ziel vier Leute. Der Zieleinlauf war ein Erlebnis. Es war geschafft. 54 km bei über 2000 Höhenmetern. Ein unbeschreibliches Gefühl. Nie hatte ich mir das träumen lassen.

Jeder, der durchkommt, ist ein Sieger. Für diesen Lauf ist der Spruch treffender als für jeden Marathon. Und 6:42 ist für einen Flachlandindianer bei seinem ersten Versuch auch ganz passabel. Natürlich wäre vielleicht eine Viertel- oder sogar halbe Stunde drinnen gewesen. Na ja. eventuell nächstes Jahr. Aber halt! Habe ich mir nicht irgendwo da oben, hinter den sieben Bergen, geschworen: "Nie mehr!". Das muß wohl ein Irrtum gewesen sein.